BODYSTYLER: Ich durfte Euch ja letztens endlich mal wieder live erleben und war begeistert. Wie habt Ihr selbst Euren Gig in Halle und das Publikum vor Ort wahrgenommen?
VOLKER ZACHARIAS: Das Publikum war sehr aufgeschlossen und in richtiger Partystimmung. Wir waren überrascht, wie gut wir als musikalische Außenseiter angenommen wurden und wie toll die Stimmung und die Reaktionen nach dem Konzert waren. Ein echter Höhepunkt- auch für uns als Band.
BODYSTYLER: Seit einiger Zeit ist Tom Lücke, der erste GUG-Sänger, wieder an Bord. In den Internetz-Geschichtsbüchern steht geschrieben, dass aus einem spontanen Auftritt im Jahr 2016 in den folgenden Wochen und Monaten wieder eine künstlerische Zusammenarbeit erwuchs. Kannst Du aus Deiner Sicht kurz erzählen, was genau an diesem Abend geschah? An welchem Punkt wurde Euch bewusst, dass daraus mehr werden könnte?
VOLKER ZACHARIAS: 2016 war das für uns ein sehr spezieller Moment, da wir erstmalig seit 1990 mit Tom Songs aus den 80ern und sogar aus der Zeit von Calling Dead Red Roses präsentiert haben. Die Energie auf der Bühne und auch im Publikum war so großartig, dass wir nicht lange nachdenken mussten, ob wir in der Konstellation weiterarbeiten und weitere Gigs spielen wollen.
BODYSTYLER: Ich war zudem angenehm überrascht von Eurer breit gefächerten, abwechslungsreichen Setlist. Nach welchen Kriterien habt Ihr diese Zeitreise konzipiert?
AXEL ERMES: Da wir aus fast 40 Jahren bunter Bandgeschichte eine relativ große Auswahl an unterschiedlichen Stimmungen in Kompositionen haben, achten wir bei Festivalauftritten schon ein wenig darauf, welche anderen Bands noch spielen und versuchen, die Zuschauer nicht gleich zu überfordern. Das Eastend war eher Synthpop orientiert und daher haben wir zunächst die eher schnuffigen, elektronischen Lieder gespielt, vor allem aus dem Sammelbecken der jüngeren Veröffentlichungen. Nachdem wir die Halle in Halle eingelullt hatten (zwinkersmiley) kam dann doch noch die Gitarrenkeule, die aber nicht minder gute Reaktionen bekam.
BODYSTYLER: Eine Überraschung in Eurem Live-Set ist sicherlich "Ohne Dich", bei dem Tom die Parts von Peter Spilles übernimmt, wodurch eine durchaus eigenständige Version entsteht. Wie kam es zu dieser schönen Variation und besteht die Chance, dass Ihr sie vielleicht auch in einer Studioaufnahme verewigt?
VOLKER ZACHARIAS: „Ohne Dich“ hat mit Tom natürlich eine andere Energie als mit Peter Spilles am Mic, aber ich persönlich sehe nicht die Notwendigkeit, noch mal eine aktualisierte Version davon aufzunehmen. Live ist das meistens ein guter Übergang in die Konzertphase, wo Tom das Mikro übernimmt und wir die „Klassiker“ der Anfangszeit spielen.
BODYSTYLER: Die Single "Endless nights", welche 2018 erschien und "Dream yourself away", das 2019 seine Live-Premiere feierte, sind sicherlich zwei der Ausgangspunkte für die Entstehung des neuen Albums. Was spielte noch eine Rolle und wie genau wurde Euch in den letzten Jahren klar, welche Ausrichtung das Album haben sollte?
AXEL ERMES: Ich glaube, wir sind überhaupt nicht so analytisch an dieses Album herangegangen. "Endless Nights" war damals auch nur eine Art Test, wie wir mit dem Thema „digitale Veröffentlichung“ umgehen können. Bis dahin kannten wir ja nur den Weg über Tapes, Vinyl oder CD. Dann - zu Beginn der Pandemie - war zunächst eine Art Werkschau der letzten 35 Jahre geplant, da ging es noch gar nicht um neue Lieder. Allerdings haben Volker und ich beim Durchforsten unserer Archive nach exklusivem Material für diese Werkschau sehr schnell festgestellt, dass da noch so einige Rohdiamanten lagen, die wir nur ein wenig polieren mussten, um brandneue und aktuelle Werke veröffentlichen zu können. Wir mussten uns auch erst mal wieder daran gewöhnen, zielgerichtet – also auf ein Album hin – zu arbeiten. Seit 2005 hatten wir uns ja nur noch sporadisch und wirklich nur aus „Spaß an der Freude“ getroffen, um bei einem Glas Wein auch ein wenig zu musizieren.
Als dann nacheinander eine Idee und ein Werk auf das andere folgte und wir selber immer wieder diese Begeisterung spürten, wie wir sie von früher kannten, entstand dieses Album quasi „ungeplant“, aber in sich total stimmig.
BODYSTYLER: Der Albumtitel "Backdraft" bedeutet im deutschen "Rauchgasexplosion" und regt automatisch die Fantasie an: Zerstörung/Neustart, Feuer, Lautstärke, Ausbruch aus einem Kreislauf – was verkörpert für Euch die zündende Idee und bezieht Ihr Euch dabei auf die Bandgeschichte oder doch eher globale Entwicklungen?
AXEL ERMES: Primär bezieht sich der Albumtitel auf die Bandgeschichte bzw. die Entstehung des Albums, das hast Du richtig interpretiert. Allerdings trafen wir dann bei der Suche nach einem passenden Motiv für das Albumcover auf den Künstler Greg Rolfes. Dieser erschafft seit Jahren phantastische Bilder und Collagen und als wir sein Bild eines Alien Skeletts in seiner Urform sahen, ergab sich vor unserem geistigen Auge sofort eine Verbindung zu dem Titel "Backdraft", der ursprünglich nur auf die explosionsartige Entzündung unseres künstlerischen und kreativen Outputs abzielte.
Im Kontext mit diesem Alien erschienen uns plötzlich bis dahin ungeahnte, düstere und dystopische Welten, die eben auch noch durch aktuelle politische Kriegsereignisse ein Endzeitszenario skizzierten.
Obwohl das Skelett kein Gesicht und damit keinerlei Mimik hat, transportiert es eine tiefe Traurigkeit und das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber den Entwicklungen und Ereignissen, denen es ausgesetzt ist. Diese Emotionen sind auch Bestandteil der Texte des Albums und obwohl wir persönlich immer versuchen, einen positiven Blick in die Zukunft zu werfen, so überwiegt zurzeit doch die Düsternis und die Ungewissheit dessen, was noch kommen mag.
Daher passen Albumcover, Musik und Texte untrennbar zusammen.
BODYSTYLER: Beim Wort "Backdraft" fällt den Cineasten unter uns natürlich der gleichnamige Film aus dem Jahr 1991 ein. Dieser trug damals den deutschen Untertitel "Männer, die durch's Feuer gehen". Euer Album aus dem Jahr 1997 hieß "Firewalker", was die Frage aufwirft, ob ihr mit der aktuellen Albumttitelwahl bewusst eine (augenzwinkernde?) Querverbindung herstellen wolltet?
VOLKER ZACHARIAS: Wow - coole Frage. Ich kann Deinen Gedankengang gut nachvollziehen, aber es gibt weder eine Querverbindung zu dem gleichnamigen Film noch zum "Firewalker"-Album. Wir haben bei der Auswahl des Albumtitels zu keinem Zeitpunkt nach hinten geschaut sondern uns wirklich gefragt, was ein passender Titel wäre, der am besten darstellt, dass wir nie ganz aufgehört, aber final dann doch spontan und mit vollem Engagement entschieden haben, Girls Under Glass mit einem neuen Album zu reaktivieren. Wir fanden "Backdraft" am passendsten dafür.
Aber Deine Verbindung ist allemal ein interessantes Gedankenexperiment, welches nicht ganz abwegig ist, auch wenn "Firewalker" musikalisch sehr weit weg ist von dem, was wir heute produzieren. "Firewalker" war 1997 fast ein Zeitgeistalbum, welches die damaligen musikalischen Strömungen aufgesaugt und verarbeitet hatte, während "Backdraft" ein klassisches Girls Under Glass-Album ist mit einem starken Verweis auf unsere 80er-Roots.
BODYSTYLER: Einige der neuen Tracks ("Tainted", "Eiskalt Sunburst","Tanz im Neonlicht") wecken bei mir zudem Erinnerungen an Clubs wie den Zwischenfall (Bochum), das Mad House (Berlin), KIR (Hamburg) oder das Old Daddy (Oberhausen), welche ihre Glanzzeit in den 80ern/90ern hatten. Diese Songs hätten sich gut in deren Programm eingefügt. Kannst Du diesen Ansatz nachvollziehen?
VOLKER ZACHARIAS: Ich kann Deinen Ansatz zu 100% nachvollziehen, weil die Reminiszenzen vieler Songs auf dem Album den Sound der 80er aufgreifen. Das Typische an dem Album ist die musikalische Varianz, die Du auf allen GUG-Alben findest. Das untypische ist der hörbar stärkere 80er Einfluss, den man so nicht auf den vorherigen Alben wahrnimmt.
BODYSTYLER: Mit "No hope, no fear" knüpft Ihr auf wunderschöne Art an melodische Wave-Traditionen an und verbindet das mit einem nachdenklich machenden Text. Was könnt Ihr zu diesem Track erzählen?
VOLKER ZACHARIAS: Danke für die Blumen. Für mich ist der Song auch eines der Highlights und sehr melancholisch, dunkel, kraftvoll und zugleich atmosphärisch. Ich hatte die Idee zum Song schon länger im Songpool, wobei ich vom Ergebnis her alte The Cure aber auch Lea Porcelaine-Songs im Kopf hatte. Ich finde, genau diesen Vibe haben wir mit typischen GUG-Elementen angereichert und damit einen echt starken Song produziert. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, den Song nachts bei Kerzenschein und Rotwein im Studio aufzunehmen, zu mixen und immer wieder in voller Lautstärke anzuhören, bis er aus unserer Sicht perfekt war.
BODYSTYLER: Inwiefern haben eigentlich Eure zahlreichen anderen (Neben-)Projekte über all die Jahre die Entwicklung von GUG beeinflusst. Seht Ihr sie als Auszeit, Ausgleich, Inspiration oder Bestärkung?
AXEL ERMES: Es ist eigentlich von allem etwas. Ich persönlich höre schon eine sehr breite Palette an Musik und dies spiegelt sich sicherlich in meiner künstlerischen Arbeit wider. In einer Band gibt es naturgemäß immer wieder Diskussionen und Kompromisse, was das Endergebnis betrifft. Manchmal passen bestimmte Werke nicht zu einer Band und daraus entstehen dann andere Projekte und Ideen für Veröffentlichungen. Es ist ja nie so, dass wir sagen: „Hey, lass uns mal Synthpop machen.“ oder „Jetzt komponieren wir ein Gitarrengewitter.“ Wir probieren einfach viel aus und es wird meist sehr schnell klar, dass der eine oder andere Song nicht zueinander passen werden. Also kommt es gelegentlich dazu, dass in anderen Konstellationen diese Ideen verarbeitet werden. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Musikern, beispielsweise mit Jan Bicker von Abscess habe ich persönlich wiederum viel gelernt und dies fließt dann selbstverständlich wieder zurück in die Arbeit mit Girls Under Glass. Es ist ein ständiger kreativer Austausch.
Das ist bei Volker bestimmt nicht anders. Seit er z.B. bei Seasurfer war, ballert er auch immer mehr Effekte in seinen Gitarrensound, was mir extrem gut gefällt.
BODYSTYLER: Coverversionen spielten ja immer wieder mal eine Rolle bei Euch und das Spektrum reichte von den Sisters of Mercy über Madonna, Pink Floyd bis hin zu Gary Numan oder den Simple Minds.
Erst kürzlich habe ich auf einem Soft Cell Tribute-Sampler Eure fantastische Version von
"Memorabilia" entdeckt. Was könnt Ihr denn dazu erzählen und wird es sie auch mal auf einer Eurer eigenen VÖs geben? Bonusfrage: Warum war es Euch ein Bedürfnis "Body Electric" noch mal aufzunehmen, nachdem Ihr den ersten Anlauf bereits 1988 (relativ zeitnah zum Original...) unternommen habt?
AXEL ERMES: Ich verstehe Coverversionen immer als eine Art Huldigung oder Würdigung eines Künstlers. Ich kann durchaus sagen, dass ich die Originale all unserer Coverversionen selber gerne gehört habe oder immer noch höre. Auch wenn sich unsere Versionen teilweise stark vom Original unterscheiden, so heißt das nicht, dass wir das Original nicht schätzen und lieben. Es ist dann einfach nur unsere eigene Interpretation des Werkes. Seit vielen Jahren geistert bei mir durchaus die Idee durch den Kopf, ein Coveralbum zusammenzustellen, bei dem natürlich auch „Memorabilia“ nicht fehlen dürfte. Dass wir "Body Electric" nochmal neu aufgenommen haben, hat sich eigentlich auch nur eher zufällig ergeben. Im Rahmen der Aufzeichnung unserer Cube Session stellten wir beim Durchhören fest, dass die neue Version für uns etwas frischer und druckvoller als die mittlerweile 35 Jahre alte Version klingt. Außerdem spielt Falko besser Bass als ich.
BODYSTYLER: Plant Ihr nach Eurer Release-Party in HH weitere Konzerte?
VOLKER ZACHARIAS: Auf jeden Fall. Für uns ist das Album auch nicht in wenigen Monaten abgehakt. Wir werden auch in 2024 weitere Promomaßnahmen ergreifen, Singles daraus veröffentlichen und weitere Konzerte spielen. Da wir 2023 allerdings alle sehr eingebunden sind, werden wir nach Hamburg nur eine handvoll weiterer Konzerte im Spätherbst spielen. Eine komplette Tour ist hingegen nicht in Sicht.
BODYSTYLER: Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen, viel Erfolg für den Release von "Backdraft" und viele Grüße – auch an den Rest der Band!
GUG: Schöne Grüße zurück von Axel und Volker