BODYSTYLER: Mit [de:ad:cibel] bringst Du zusammen mit Daniel Galda basslastigen Electro zu Gehör, der über die Jahre (seit 2010) immer mehr bombastische/sinfonische Elemente aufweist. Mit Deinem Instrumental-Projekt Solar Powered Vampyre bist Du seit 2019 mit Veröffentlichungen am Start, wobei der Fokus genau andersherum gesetzt ist. Wie hast Du Deine Vorliebe für diese klassischen/sinfonischen Sounds entdeckt bzw. entwickelt? Hast Du eigentlich eine musikalische Ausbildung genossen?
ARMIN KÜSTER: Ich mag seit jeher Filmmusik und wollte es unbedingt einmal selbst ausprobieren. Es hat nach meinem Gefühl auch gut geklappt und es bereitet mir weiter riesigen Spaß. Eine besondere musikalische Ausbildung besitze ich nicht, aber ich habe ein paar Jahre Klavierunterricht bekommen und dabei sehr viel über klassische Musik gelernt.
BODYSTYLER: Manch einem Leser wird bekannt sein, dass die letzten Jahre nicht einfach für Dich waren. Du hattest mit einem gesundheitlichen Rückschlag zu kämpfen, der Dich auch das Leben hätte kosten können. Stattdessen hast Du Dich jedoch wieder zurückgekämpft und Dir Deine Talente und Fähigkeiten im wahrsten Sinne zurückerobert. Magst Du beschreiben, wie dieser steinige Weg aussah? Musstest Du komplett bei Null anfangen oder konntest Du auf einem gewissen Fundament aufbauen? Wo siehst Du Dich heute, wenn Du Dich mit dem Armin Küster vor dem Vorfall vergleichst?
ARMIN KÜSTER: Es war ein wirklich steiniger Weg, der mich viel Kraft gekostet hat. Ich musste ganz bei Null anfangen und alles neu lernen. Zum Glück kommen nun einige alte Erinnerungen zurück und mir fällt wieder etwas ein, das ich vergessen glaubte. Ich habe viel Zeit investiert, über die ich nun verfüge und bin einigermaßen zufrieden, mit dem was ich bis jetzt erreichen konnte. Leider bin ich noch weit vom "alten Armin" entfernt. Ich muss viele Bildschirmkopien machen, weil ich es sonst bis zum nächsten Tag wieder vergesse. Ich gebe aber nicht auf und arbeite einfach immer weiter.
BODYSTYLER: In einer Spanne von vier Jahren erscheint bereits das dritte SPV-Album. Ich vermute mal, dass die Corona-Pandemie etwas mit dieser Produktivität zu tun haben könnte… Oder ist es auch das freiere Arbeiten, da Du alle Fäden allein in der Hand hältst?
ARMIN KÜSTER: Es hat nichts mit Corona zu tun. Ich verfüge jetzt über viel mehr Zeit, Musik zu machen, da ich leider nicht mehr arbeiten kann. Es ist verdammt schwierig, mich länger zu konzentrieren. Doch wenn ich meine Musik mache, kann ich mir die Zeit selbst einteilen. An manchen Tagen funktioniert auch mal gar nichts, weil ich zu schwach bin und mein Kopf völlig durcheinander gerät.
BODYSTYLER: Ich bin von Anfang an begeistert vom grandiosen Bandnamen. Er knipst beim Lesen sofort die grauen Zellen an und ist ein wahrer Hingucker. Zudem wirft er unweigerlich die Frage auf, wie denn ein Vampir klingt, der den Trick raus hat, sich nicht vom Sonnenlicht zerbröseln, sondern vielmehr davon antreiben zu lassen. Zumindest scheint die Nutzung der ungewöhnlichen Energiequelle recht effizient zu sein. Berichte doch bitte davon, wie sich die Namenssuche bzw. -findung vollzogen hat?
ARMIN KÜSTER: Ich würde es Dir gerne erklären, leider habe ich es vergessen. Ich weiß nur noch, dass ich mit meiner Freundin Susan Anway () von Diskarnate darüber sprach. Sie meinte, das ich "Vampire" als "Vampyre" schreiben sollte. Vielleicht kommen die Erinnerungen doch irgendwann zurück.
BODYSTYLER: Wo findest Du Inspirationen für Deine Musik? Verarbeitest Du Erfahrungen oder lässt Du Dich vielleicht von optischen Eindrücken leiten?
ARMIN KÜSTER: Ich spiele immer genau das, was mir gerade einfällt. Ich besitze mittlerweile ausreichend Equipment und eine große Library, damit kann ich viele verschiedene Richtungen bearbeiten. Ich wache auch nachts plötzlich auf und mir kommt eine Melodie in den Kopf. Dann summe ich sie direkt in mein Smartphone, damit ich sie am nächsten Morgen nutzen kann. Ansonsten wäre sie dann weg.
BODYSTYLER: Wie viel Improvisation und wie viel Kalkül steckt in Deinen Songs? Lässt Du Dich beim Komponieren treiben oder hast Du gewisse technische Abläufe, die diese gewaltigen Klanglandschaften entstehen lassen?
ARMIN KÜSTER: Ich lasse mich treiben. Ich schaue mir jeden Tag an, was ich schon beisammen habe. Der jeweilige Song kann zudem auch spontan die Richtung wechseln, je nach Stimmung.
BODYSTYLER: Gibt es "Kontroll-Instanzen", die Dir Feedback zu Deinen Kompositionen geben? Welche Meinungen sind Dir diesbezüglich wichtig und was braucht es, um grundlegende Veränderungen bei Dir zu bewirken?
ARMIN KÜSTER: Bei Solar Powered Vampyre kann ich machen, was ich will. Es muss mir bloß gefallen, dann passt es. Bei [de:ad:cibel] muss ich mich natürlich mit Daniel einigen. Das hat über all die Jahre aber immer bestens funktioniert.
BODYSTYLER: Natürlich stellt sich bei Instrumentalprojekten und besonders wenn ein vorliegendes Album den Titel "Cinematic" trägt, die Frage, ob man sich als Künstler vorstellen könnte, dass die eigenen Stücke Teil eines Soundtracks wären. Würdest Du gern Stücke für die Leinwand komponieren oder wenigstens zur Verfügung stellen?
ARMIN KÜSTER: Ich habe bereits im Jahr 2015 Teile für einen Soundtrack produziert, einen Film von Olaf Ittenbach. Danach folgte noch ein Projekt für einen Trailer, bis mich die Krankheit stoppte. Ich fände es super, meine Musik irgendwann in einem Film zu hören. Ich kann leider keine Musik mehr für einen kompletten Film machen, das ist für mich inzwischen zu viel Arbeit. Aber einzelne Stücke würde ich sehr gerne komponieren oder auch fertige Songs zur Verfügung zu stellen.
BODYSTYLER: Die Cover Deiner Veröffentlichungen eint ein gemeinsamer Stil. Wie wichtig ist Dir dieser optische Aufhänger bzw. erste Eindruck?
ARMIN KÜSTER: Der Stil ist mir sehr wichtig. Für alle wichtigen Produktionen hat Alexander Froebel alias Pixelbreed die Cover gestaltet. Er ist ein echter Spezialist und ich bin ihm sehr dankbar für seine tollen Ideen.
BODYSTYLER: Wo finden sich Deine Vorbilder im klassischen oder neo-klassischen Sektor?
ARMIN KÜSTER: Rein klassisch eher nicht. Aber im neo-klassischen Sektor gibt es viele, zum Beispiel Christopher Young, Adrian Johnston, Michael McCann und Tom Raybould.
BODYSTYLER: Welche Filmkomponisten schätzt Du am meisten?
ARMIN KÜSTER: Max Richter ist einer meiner Helden. Er hat unter anderem die Musik für "The Leftovers" gemacht. Ich durfte ihn auch live erleben. Und natürlich der allseits geschätzte John Carpenter.
BODYSTYLER: Die Fotos auf Deiner Facebook-Seite zeigen ein durchaus imposant eingerichtetes Studio. Magst Du erzählen, wie diese Technik den Weg zu Dir gefunden hat? Gibt es Lieblingsmaschinen?
ARMIN KÜSTER: Ich habe in den 90er Jahren mit einem E-Mu EMAX 2 und einem Yamaha TX81Z begonnen. Je länger ich mich mit der Musik beschäftigte, umso mehr Geräte kamen hinzu und einiges wurde dann auch wieder abgestoßen. Mein Modular-System wollte ich schon verkaufen, aber meine Frau hat es verhindert, zum Glück. Ich bin bis heute zwar nicht in alle Ecken des Systems vorgedrungen, aber mittlerweile macht es doch wieder Spaß, damit herumzuspielen. Ich kann nur weitaus weniger experimentieren als vor meiner Hirnblutung. Mein Lieblingsinstrument ist ein Sequential Pro 3.
BODYSTYLER: Wie ist der aktuelle Stand bei [de:ad:cibel]? Hier gab es 2019 mit der "Caligo"-EP das letzte Lebenszeichen…
ARMIN KÜSTER: Daniel und ich wohnen fast 500 Kilometer auseinander. Mit [de:ad:cibel] geht es aber in jedem Fall weiter. Wir planen, uns im Dezember wieder zu treffen.
BODYSTYLER: Welche Schritte stehen in den kommenden Wochen/Monaten für SPV an? Gibt es konkrete Pläne für Auftritte, Videos oder neue VÖs?
ARMIN KÜSTER: Auftritte sind für mich leider nicht mehr möglich, Videos auch nicht. Aber ich werde auf jeden Fall weitere Alben herausbringen. Es hilft mir, mit meinen Problemen umzugehen und weitere Fortschritte zu machen, selbst wenn es ganz kleine sind.