BODYSTYLER: In unserem letzten Gespräch hast Du davon gesprochen, dass Du Dich in einer sehr nostalgischen Phase befindest. Das spiegelt sich auch in den letzten Veröffentlichungen wider, denn es sind Re-Releases, Archivausgrabungen oder Neubearbeitungen älterer Songs. Woher kommt die Nostalgie und warum scheint es Dir ein Bedürfnis zu sein, in die Vergangenheit zu reisen?
DARRIN HUSS: Nun, wenn wir älter werden, nehmen wir uns oft gerne Zeit, um darüber nachzudenken, woher wir kommen. Ich hatte immer das Gefühl, dass unsere frühen Veröffentlichungen der Zeit voraus waren, und so sehe ich es als Nostalgie-Trip für einige, die uns immer auf unserer Reise begleitet haben, aber auch als Entdeckung für neue Generationen von Menschen, die alternative Musik suchen, welche für ihre Situation relevant ist. Bei Psyche ging es immer vorrangig um Menschlichkeit und Erfahrungen, die sich in einem philosophischen Text und emotionaler Musik widerspiegeln. Das ist etwas, das meiner Meinung nach nie aus der Mode kommen wird. Ein weiterer Aspekt ist auch die Ehrung meines Bruders Stephen, der 2015 verstorben ist. Er schuf das Fundament für den Sound von Psyche, auf dem ich bis heute weiter aufbaue.
BODYSTYLER: Wie würdest Du Dein Verhältnis zu den alten Liedern beschreiben? Betrachtest Du Dein früheres Ich eher aus der Ferne oder findest Du Dich als Persönlichkeit/Charakter auch nach all den Jahren noch in ihnen wieder?
DARRIN HUSS: In der Zeit um das dritte Album "Mystery Hotel" habe ich mich weniger für die frühe Musik interessiert und eine Zeitlang wollten wir uns vom raueren Sound unserer Anfänge entfernen. Heutzutage, so wie sich die moderne Welt entwickelt hat, fühle ich mich näher an den Gefühlen, die mich dazu brachten, diese frühen Songs zu kreieren, und bin davon überzeugt, dass ich am Puls unserer Gesellschaft war und wohin wir uns in ihr bewegten. Leider scheint vieles von dem, was ich in Songs wie "Uncivilized" und "The Crawler" zu sagen hatte, ziemlich prophetisch gewesen zu sein. Wenn ich die Songs aufführe, habe ich definitiv immer noch einen Bezug zu meinem jüngeren Ich.
BODYSTYLER: Die Geschichte der Band könnte man in verschiedene Phasen einteilen, die sich an den jeweiligen musikalischen Partnern orientieren und jede dieser Phasen hat ihre Hits hervorgebracht. Mich würde interessieren, ob Du Dein Leben in Bezug auf diese musikalischen Phasen betrachtest oder sind es eher die Dinge außerhalb der Musik, die Dir eine rückblickende Struktur geben?
DARRIN HUSS: Danke, dass Du sagst, dass alle Phasen Hits hervorgebracht haben. Wir waren nie in den offiziellen Major-Charts, aber es gab einige große Erfolge in der Independent-Szene, besonders mit "The 11th Hour", das 2005 mehrere Wochen auf Platz 1 der DAC-Charts stand. Unabhängig von den späteren Mitgliedern, die meinen Bruder ersetzt haben, hatte ich immer das Gefühl, dass ich es schaffe, Musik im Rahmen von Psyche zu machen. Sicherlich stellen die Texte meine Beziehung zu den verschiedenen Ereignissen dar, die in diesen Phasen meines Lebens geschehen. Vieles ist innerer Ausdruck, aber natürlich spiegeln sie auch die äußeren Einflüsse des jeweiligen Augenblicks wider. Die Musik der 2000er Jahre war unsere Variante des Futurepop-Sounds, der sich zu dieser Zeit entwickelte. "Sanctuary" war eine Mischung aus den elektronischen Dance-Trends und unseren melancholischen Gothic-Tönen. "The Beyond" und die "Endangered Species"-EP wurden von meinen Gefühlen nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York und den damit verbundenen Folgen der Überwachung inspiriert. Manche Leute sagen, wir hätten unseren Stil oft geändert, aber es ist alles elektronische Musik mit meiner Stimme, also ist es nicht so, als wären wir jemals zu Heavy Metal übergegangen oder hätten uns überraschend in eine Ska-Band verwandelt!
BODYSTYLER: Du lebst nun schon seit vielen Jahren in Deutschland. Was gefällt Dir an Deiner Wahlheimat und wie viel Kanada steckt noch in Dir?
DARRIN HUSS: Oh, das ist eine gute Frage! Wir haben ursprünglich in Paris gelebt, aber ich glaube, ich habe mich dort eher als Tourist gefühlt, als dass ich es zu meinem Zuhause gemacht hätte, wie ich es in Deutschland getan habe. Ich betrachte mich eigentlich als europäischen Bürger, und mein Bruder und ich waren nie so sehr davon besessen, Kanadier zu sein. Und doch bleibt vielleicht ein kleiner Teil von uns patriotisch, so wie man sein Land bei den Olympischen Spielen vertritt. Die Kanadier sind größtenteils einladende, freundliche, hilfsbereite und abenteuerlustige Menschen. Ich denke, das wird mich immer begleiten.
BODYSTYLER: Die letzte komplett neue Psyche-Single ist "Youth of tomorrow" aus dem Jahr 2017. Wie ist dieser schöne Track entstanden und wie würdest Du ihn aus heutiger Sicht beschreiben?
DARRIN HUSS: Ich hatte endlich wieder etwas zu sagen, das ich für wichtig hielt. Außerdem wollte ich so tun, als wären es wieder die 80er Jahre und einfach eine 12"-Single mit einem Extended- und Single-Mix eines Songs machen, der mir sehr am Herzen lag. Eigentlich wurde die B-Seite zuerst geschrieben, aber Stefan arbeitete an einigen neuen Sounds und spielte eines Tages das Synthie-Orgel-Solo, als mir klar wurde, dass das Teil des Ausdrucks für den Text sein sollte, den ich schrieb. Der Song ist eigentlich ziemlich düster. Es ist wie meine Science-Fiction-Geschichte über das, was meiner Meinung nach auf die Jugend in der Zukunft zukommen wird. Hologramme, Geld, das man ausgibt, Wetten, wer es schaffen wird, und anderen die Schuld für die eigenen Probleme zu geben.
BODYSTYLER: Bei eurem Auftritt auf dem Dark Rush Festival in Berlin habt ihr "Truth or consequence" gespielt, die von Dir angesprochene B-Seite von "Youth of tomorrow". Was kannst Du uns über diese Komposition von Stefan Rabura erzählen?
DARRIN HUSS: Die beiden neuen Songs sind das neue Gesicht von Psyche mit Stefan. Wir haben über fünf Jahre an "Truth Or Consequence" gearbeitet. Das war vor den US-Wahlen, als Chelsea Manning noch Bradley war. Es geht um den Verlust der Unschuld, wenn es um militärische Geheimhaltung vs. Privatsphäre und Überwachung geht. Es geht auch darum, in den sozialen Medien präsent zu sein und gleichzeitig nicht zu merken, dass alles, was man sagt oder tut, jederzeit aufgedeckt werden kann. Wir haben den gleichen Drumcomputer wie bei "Brain Collapses" verwendet, so dass es den frühen Psyche-Sound hat, und ich mag das Klavierspiel, das Stefan als dunklen, ernsten Unterton hinzugefügt hat.
BODYSTYLER: Hast Du eine Ahnung, wann das nächste neue Album von Psyche erscheinen könnte? Immerhin ist der letzte Longplayer schon 19 Jahre alt...
DARRIN HUSS: Nächstes Jahr wird das 20-jährige Jubiläum von "The 11th Hour" gefeiert! Ich hätte nie gedacht, dass das passieren würde, denn ich war es gewohnt, fast alle zwei Jahre ein Album zu machen. Aber es hieß "The 11th Hour". Ich hatte das Gefühl, dass wir uns dem Ende von etwas nähern. Manche Künstler haben 30 Alben gemacht, manche nur 3 oder 5. Ich denke, es hängt davon ab, warum man Musik macht. Ich stehe zu fast allem, was ich geschrieben habe, und mit diesem Album kam ich 2005 zu einem vorläufigen Schlusspunkt. Deshalb gab es später nur zwei neue Songs, denn ich hatte nicht wirklich 10 oder 11 Dinge zu sagen, die ich für nötig hielt. Ich habe eine kleine Sammlung von Gedanken über die letzte Zeit und den Titel "Light Before Day", der immer noch für das nächste Album steht. Ich fühle mich verpflichtet, mindestens ein weiteres nächstes Jahr zu machen, aber nur, wenn der Sound außergewöhnlich ist und ich das Gefühl habe, dass wir einen ganz neuen Weg gefunden haben, uns auszudrücken.
BODYSTYLER: 2015 wurde die Psyche-Tribute-Compilation "Unforgotten rhymes" veröffentlicht. Als Fan weiß ich, dass Dich eine Freundschaft mit einigen der beteiligten Bands verbindet. Würdest du uns bitte erzählen, wie dieses Album zustande gekommen ist und inwieweit Du direkt an seiner Entstehung beteiligt warst?
DARRIN HUSS: Ich will ehrlich sein, es war die Idee von Stefan Rukavina aus Kassel. Ich hatte auf mehr Bands gehofft, mit denen ich in der Vergangenheit zu tun gehabt habe. In den 90ern hatte ich die gleiche Idee und schrieb unter anderem Alien Sex Fiend und Die Form an.
Als es dann mit "Unforgotten rhymes" losging, war ich mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist, aber ich liebe die Version von "Brain Collapses "von Force Dimension und einige andere, die mich überrascht haben, wie "Equinoxe" von Future Trail, "Murder In Your Love" von Arcana Obscura und Technomancers Version von "The Outsider". Es gibt noch ein paar andere Highlights, aber letztendlich wollte ich mich einfach überraschen lassen, und es war zu dem Zeitpunkt etwas durchaus Interessantes.
BODYSTYLER: Auch nach all den Jahren im Geschäft ist bei Deinen Auftritten die Freude an der Sache noch zu spüren. Du lockerst die Songs mit witzigen Ansagen und Improvisationen auf, die oft Zitate aus der Popgeschichte beinhalten. Wie würdet ihr das aktuelle Gefühl auf der Bühne beschreiben und wie unterscheidet es sich von dem vor 10, 20 oder noch mehr Jahren?
DARRIN HUSS: Ich genieße es jetzt sogar noch mehr, weil ich das Gefühl habe, etwas Zeitloses und Relevantes geschaffen zu haben. Ich schätze es, dass es meine Lebenserfahrung ist, die ich präsentiere, und bin dankbar, dass ich das tun kann.
BODYSTYLER: Vor kurzem habt ihr bei einem Festival in Görlitz gespielt. Was kannst du uns darüber erzählen?
DARRIN HUSS: Wir waren zum ersten Mal im Nostromo, nachdem wir schon einmal gefragt wurden. Ein toller Ort und eine sehr schöne Stadt.
BODYSTYLER: Was kannst Du über geplante Auftritte / Veröffentlichungen für 2024/25 sagen? Worauf können wir uns freuen?
DARRIN HUSS: Wir arbeiten immer noch am "Light Before Day"-Album, und in der Zwischenzeit sind einige lustige Coverversionen während der Corona-Zeit entstanden, sowie weitere kreative Videos.