Mesh

Zeitreise

13.11.2024 - 25 Jahre ist es her, dass das britische Trio Mesh sein zweites Album "The point at which it falls apart" veröffentlichte und es ist bis heute ein Meilenstein der Synth-Pop-Szene. Nun erscheint es frisch remastert in einer opulenten Sonderedition. Ich führte mit Sänger Mark Hockings ein Gespräch, in dem es um die Vergangenheit, aber auch den Blick nach vorn ging. Von: Torsten Pape

Image 2024 – die beiden Gründungsmitglieder Richard Silverthorn und Mark Hockings (Foto: Chris Ruiz)

BODYSTYLER: Was waren Eure Gedanken oder spontanen Assoziationen, als Ihr vor ein paar Jahren nach diesem Album gefragt wurdet oder darüber nachgedacht habt? Welche Art von Verbindung hattet Ihr zu diesem Album, bevor die Idee der Wiederveröffentlichung entstand?

MARK HOCKINGS: Dieses Album war für uns immer ein prägendes Werk. Mit "Fragile" und "In This Place Forever" waren wir, glaube ich, noch dabei, unseren "Sound" zu finden. Mit "The Point at Which it Falls Apart" ("TPAWIFA") hatten wir das Gefühl, dass wir endlich eine Richtung und Selbstvertrauen gefunden hatten, das uns vorher vielleicht gefehlt hatte. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schon eine Menge Shows gespielt und begannen, unser Publikum besser zu verstehen. Das Album birgt viele gute Erinnerungen für uns und markierte einen Wendepunkt, an dem wir dachten, dass sich alles zu etwas Besonderem entwickeln könnte.

BODYSTYLER: Bist Du selbst jemand, der sich remasterte Re-Releases anhört oder gar als Sammleredition kauft? Wenn ja, was sind Deine hauptsächlichen Beweggründe? Was geschieht mit der Original-Edition in Deiner Sammlung – Ehrenplatz; Keller oder ebay?

MARK HOCKINGS: Ich weiß, das klingt schrecklich, aber ich glaube nicht, dass ich einen CD-Player besitze. Vielleicht in einer Xbox. Um ehrlich zu sein, habe ich seit meiner Teenagerzeit keine Musik mehr gesammelt. Wenn man Musik macht, bleibt wenig Zeit, sie sich anzuhören, und heutzutage neige ich dazu, sie zu streamen. Ich liebe immer noch die physischen Formate und vermisse die Zeit der physischen Alben. Manchmal wünsche ich mir, dass die Musik zu dieser Zeit zurückkehren könnte - ich denke, dass es künstlerisch und aus der Perspektive des "Engagements" immer viel mehr Sinn gemacht hat. Ich gebe alle meine Mesh-Sammlerausgaben meiner Mutter und meinem Vater, weil ich weiß, dass sie sich um sie kümmern werden. Ich verschenke eine Menge dieser Alben. CDs, Bücher und Alben nahmen früher den ganzen Platz in meinem Haus ein - dieser Platz ist jetzt voll mit Musikinstrumenten und Kabeln...

BODYSTYLER: Nenn doch bitte Deine Top 5 von remasterten Neuauflagen.

MARK HOCKINGS: Meine bevorzugten remasterten Alben sind die Wiederveröffentlichungen der Beatles wie "Abbey Road", "Revolver", "The White Album" und "Sgt Pepper". Die klassischen Alben der 60er, 70er und 80er Jahre sind Musik, die wirklich von der modernen Technologie und den Methoden der Aufbereitung von Aufnahmen profitiert.

BODYSTYLER: Erläutere bitte für alle nicht technisch bewanderten Leser, wo die entscheidenden, technischen Unterschiede zwischen Damals und Heute liegen. Mit welchen Schwierigkeiten hattet Ihr Ende der 90er zu kämpfen über die Ihr heute nur schmunzeln könnt? Nutzt Ihr noch die damalige Technik oder wurde sie bereits komplett durch neue Standards ersetzt?

MARK HOCKINGS: Die wichtigsten Unterschiede sind die Gesangsaufnahme, die Effekte und die computerbasierte Synthese.
Bei "In This Place Forever" haben wir den Gesang mit einem 8-Spur-Band aufgenommen. Für "TPAWIFA" waren wir auf einen Festplattenrecorder umgestiegen. Obwohl die Festplattenaufnahme viel flexibler war, war das Editieren schwierig, und auch das Ändern von Arrangements war eine echte Qual. Eine Ausnahme auf "TPAWIFA" war "Fallen", das mit einer der ersten Versionen von Cubase VST geschrieben wurde. Heute haben wir unbegrenzte Gesangsspuren auf der Festplatte und unvergleichliche Editiermöglichkeiten.
Früher brauchten wir ein Pult mit 48 Kanälen und externen (physischen) Noise Gates, Kompressoren und Effekten (Reverbs/Delays/Verzerrungen). Diese Effekte waren auf die Anzahl beschränkt, die man sich leisten konnte, und wurden in der Regel auf die Aufnahme "gedruckt", so dass es im Allgemeinen unmöglich war, sie ohne Neuaufnahme zu ändern. Heute arbeiten wir hauptsächlich mit Plug-ins. Ein typischer Track kann 100 solcher Plugins enthalten, was damals 100 physischen Boxen entsprach. Die Flexibilität ist ungeheuer groß.
Für "TPAWIFA" waren wir auf die physischen Synthesizer beschränkt, die wir besaßen. Wir hatten alle unsere eigenen Geräte und brachten unsere Sachen mit ins Studio. Heute haben wir auch die Möglichkeit von Software-Synthesizern. Diese ergänzen das physische Equipment enorm und geben uns ein riesiges klangliches Arsenal.
Letztendlich war es der Aufstieg der Computer, der das Spielfeld geebnet hat. Es ist kaum zu glauben, dass wir heute über eine solche High-End-Ausrüstung verfügen, die weit über das hinausgeht, was selbst in den größten Studios der damaligen Zeit möglich war. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das zu meinen Lebzeiten noch erleben würde.

BODYSTYLER: Das Remastering hat kein Geringerer als Olaf Wollschläger vorgenommen. Inwieweit wart Ihr direkt involviert und wie hört sich das aufpolierte Material für Eure Ohren an? Gibt es Details, die wieder zum Vorschein kamen, die Ihr vielleicht schon vergessen hattet oder könnt Ihr Euch an alles noch genau erinnern?

MARK HOCKINGS: Wir können keine Lorbeeren für das Remastering einheimsen. Olaf hat bei dieser Wiederveröffentlichung einen absolut fantastischen Job gemacht. Das remasterte Album klingt in meinen Ohren viel detaillierter und offenbart Dinge, die ich, glaube ich, nicht mehr gehört habe, seit es damals über das Mischpult ging. Es ist eine Offenbarung.

BODYSTYLER: Die Neuauflage enthält zwei schöne Liner-Notes, die zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Band / das Album widerspiegeln. Wie ist die Wahl auf Mark Wibrow und Jan Winterfeld gefallen?

MARK HOCKINGS: Wir wollten die Perspektive aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. Mark ist ein großartiger Journalist und Moderator und ein wichtiger Teil der weltweiten elektronischen Musikszene. Wir schätzen seinen Beitrag sehr und er bedeutet uns sehr viel. Er entspringt einem Ort des Wissens und der Liebe für das Genre. Jan arbeitet seit Jahrzehnten mit uns zusammen und kennt uns besser als jeder andere. Er ist genauso ein Teil der Band wie jeder von uns, und unsere Geschichte und unser Erfolg sind miteinander verbunden. Er ist auch sehr gut darin, Geheimnisse zu bewahren...

BODYSTYLER: Mark erwähnt in seinem Text die erstaunliche Tatsache, dass Ihr in Europa immer schon größeren Erfolg hattet als in Großbritannien. Es gibt ja dieses Sprichwort: "Der Prophet ist nichts wert im eigenen Land." Wie erklärt Ihr Euch dieses eigentlich unerklärliche Phänomen?

MARK HOCKINGS: Das war sicherlich eine sehr lange Zeit so. Wir haben zunächst bei einem skandinavischen Label unterschrieben und sind dort ausgiebig getourt. Das wurde schnell zu unserer Haupt-Fanbase. Dann haben wir bei einem deutschen Label unterschrieben und sind seither bei deutschen Labels geblieben. Wie bei der skandinavischen Erfahrung wurde Deutschland bald unser Hauptaugenmerk. Wir haben das immer sehr cool gefunden und ich bin mir nicht sicher, ob ich es anders gewollt hätte. Das Internet hat langsam auch die britischen Fans auf den Plan gerufen, und wir spielen immer mehr und größere Shows in Großbritannien.

BODYSTYLER: Jan plaudert in seinem Text wiederum von den unterschiedlichsten Auftrittsorten auf den damaligen Touren. Könnt Ihr Euch noch an diese Clubs erinnern? Gibt es Eurerseits Erlebnisse, die Ihr nie vergessen werdet?

MARK HOCKINGS: Rich kann sich besser an die Clubs erinnern, wenn ich ehrlich bin. Ich erinnere mich eher an die lustigen Sachen, die auf der Tournee immer passieren, aber selten daran, wo sie tatsächlich stattgefunden haben. Das ist einfach die Art, wie mein Gedächtnis funktioniert. Aber einige der Clubs und Festivals, wo wir gespielt haben, sind mir im Gedächtnis geblieben. Entweder waren sie riesig, oder sehr klein oder sie hatten kein Equipment, es ist etwas Lustiges passiert oder sie waren einfach nur seltsam. Am meisten erinnere ich mich an die Tourbusse - wir hatten eine Menge Spaß in den Tourbussen, meistens mit den Vorbands in irgendeiner Form.

BODYSTYLER: Beim optischen Erscheinungsbild habt Ihr wunderschöne Bezüge zur damaligen Edition einfließen lassen. Teilweise durch das originale Artwork, aber auch durch nicht so bekannte, unveröffentlichte oder auch komplett neue Bilder. Was kannst Du zur Entstehung des neuen Artworks berichten?

MARK HOCKINGS: Wir hatten das Glück, einige Bilder aus dieser Zeit zu haben, die Neil (Taylor, Mitglied 1991-2006) aufgenommen hatte und die nie verwendet wurden. Die Auflösung war ein Problem, da sie bei den Fotoscans von damals für moderne Ansprüche ziemlich niedrig war. Wir konnten einiges Material hochskalieren und neu generieren, indem wir die neuesten Tools zur Fotobearbeitung einsetzten - eine Technologie, die sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt hat. Dieses Projekt wäre noch vor wenigen Jahren nicht möglich gewesen. Die Ergebnisse sind sehr schön.

BODYSTYLER: Apropos: Inwieweit war Neil eigentlich in die Arbeiten an der Neuauflage involviert? Habt Ihr von ihm ein Feedback erhalten?

MARK HOCKINGS: Neil war zwar nicht direkt an dieser Veröffentlichung beteiligt, aber seine wunderschönen Fotos und Grafiken waren der Schlüssel zu dieser Veröffentlichung.

BODYSTYLER: Aktuell steht der Auftritt in Dresden an, mit dem ihr das Album gebührend feiern wollt. Was darf man von diesem Abend erwarten? Wollt Ihr das Album in Gänze performen?

MARK HOCKINGS: Wir sind immer noch dabei, diese Show zu planen. Wir werden sicherlich versuchen, den Großteil des Albums zu spielen, zumindest ist das der aktuelle Plan. Es ist eine Menge Arbeit, diese Dinge im Jahr 2024 zum Leben zu erwecken, aber wir sind sehr aufgeregt über diese exklusive und besondere Show.

BODYSTYLER: Das 25-jährige Jubiläum Eures Debüts habt Ihr meines Wissens nicht großartig gefeiert. Zumindest gibt es kein Re-Release davon. Könnte da noch was kommen? Eventuell zum 30. Geburtstag (wäre ja dann nicht mehr so lange hin...)?

MARK HOCKINGS: Wir haben die "Retrospektive"-Tour gemacht. Das war so nah wie wir einem Rückblick kommen werden. Wir blicken immer noch nach vorne und wollen Teil der Zukunft sein, nicht nur der Vergangenheit. Ich und Rich sind der Meinung, dass wir immer noch viel zu bieten haben, und es liegt nicht in unserer Natur, in der Vergangenheit zu schwelgen. Vielleicht wird sich das ändern, aber wir haben noch viel zu beweisen.

BODYSTYLER: Aktuell wird gemunkelt, dass Ihr bereits fleißig am nächsten Album arbeitet. Habt Ihr schon eine Idee, wann es herauskommen wird? Womit könnt Ihr die Fans bereits neugierig machen?

MARK HOCKINGS: Ja, wir arbeiten an einem neuen Album. Wir haben uns eine wohlverdiente Pause gegönnt und sind erfrischt und voller Tatendrang zurückgekehrt, um unsere Ideen zu ordnen. Wir haben viel, woraus wir schöpfen können, viel zu sagen. Die Technologie hat sich weiterentwickelt. Um ehrlich zu sein, ist das sehr aufregend.

BODYSTYLER: Letzte Worte?

MARK HOCKINGS: Wie immer bedanken wir uns für Deine anhaltende Unterstützung - sie bedeutet uns sehr viel. Danke an die Fans und Unterstützer, die uns einen Grund geben, morgens aufzustehen. Passt auf euch auf!

BODYSTYLER: Gern geschehen und vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast. Ich wünsche Euch viel Erfolg mit der Veröffentlichung und viel Spaß beim Konzert in Dresden.

MARK HOCKINGS: Dankeschön!