BODYSTYLER: Kurze, schnelle Abschiede sind nicht so das Ding von And One, oder? Nein, im Ernst: Es ist schön, dass Ihr wieder oder besser schon wieder oder noch besser immer noch da seid!
STEVE NAGHAVI: Kann ich die Frage nochmal hören?
BODYSTYLER: Man konnte sich gar nicht so richtig vorstellen - auch mit Hilfe größtmöglicher mentaler Anstrengung, ja geradezu geistiger Verausgabung, dass Ihr nach all den Jahren wirklich komplett und endgültig von der Bildfläche verschwindet. War es für Euch zwischenzeitlich wirklich erstrebenswert, nur noch am heimischen Herd zu stehen und Eure Brötchen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu backen?
STEVE NAGHAVI: Ich hab' kein Problem damit, kleine Brötchen zu backen, so lange ich mir eine 1-Zimmerwohnung und Internet leisten kann. Bin ja nun nicht mit 'nem goldenen Löffel im Maul aufge(„wachsen“) und bescheiden musste ich die letzten 20 Jahre eh leben, da ich das meiste Geld sowieso immer wieder in die Arbeit habe zurückfließen lassen. Sicherlich hätte ich mit Musik an sich nicht aufhören müssen. Nur eben das Etikett hätte sich geändert.
BODYSTYLER: Den Untertitel "Trilogie I" kann man so deuten, dass diese Trilogie die erste in Eurer Karriere ist. Oder haltet Ihr Euch ebenso die Tür offen, dass das "Magnet"-Paket ebenso der erste Teil einer Trilogie sein könnte?
STEVE NAGHAVI: Sollte es jemals eine Zweite geben, so haben wir damit schon im Vorfeld Verwechslungen ausgeschlossen. Aber ich denke, wir werden erst nächstes Jahr entscheiden, wie es weitergeht. Kein Zwang für Nix. Wie immer.
BODYSTYLER: Gibt es eigentlich Leute, die Euch fragen, warum es zur Trilogie keine Single-Auskopplung gibt? Was würdet Ihr diesen Leuten antworten?
STEVE NAGHAVI: Ganz selten eigentlich wurden wir dazu befragt. Mit einer oder mehreren Singles legt man den Fokus auf einen oder zwei Songs. Die müssen dann erstmal ALLES können. Das fände ich irritierend, weil wir doch unbedingt die Aufmerksamkeit auf die Trilogie an sich lenken wollen. Auch Videos hätten die Eigenschaft gehabt, bestimmte Songs irgendwie zu bevorzugen. Es ist eine künstlerische Entscheidung gewesen und ich bin mir heute sicher, dass es die richtige war, auch wenn diverse Geschäftspartner es gerne anders gesehen hätten.
"Mut zum Fan-Verlieren - denn das, was übrig bleibt, macht dich vielleicht nicht unbedingt reich, aber glücklich!!!"
BODYSTYLER: Nach Paddy Bernhardt und Rick Shah (!), folgt nun mit Ecki Stieg die dritte Szenegröße, der ihr eine Huldigung widmet. Warum so umständlich und kleckerweise, wo H.P. Baxxter doch in den 90ern gezeigt hat, wie's richtig geht?
STEVE NAGHAVI: Für viele Szenegrößen war es damals der ultimative Supergau, von Scooter in seinem Song aufgezählt zu werden. Hätte es das Internet in seiner heutigen Form schon damals gegeben - es wäre der erste interne Shitstorm geworden, ausgelöst durch all die DJs, die von H.P. sozusagen „entweiht“ wurden. In unserer Szene würde es sich ähnlich verhalten. Davon abgesehen, finde ich nun auch nicht jeden Kollegen erwähnenswert. Solche Songs kommen bei mir spontan, ohne Vorankündigung, aus dem Nichts. Lässt sich nicht kontrollieren. Wer weiß, wer der Nächste sein wird (zwinkert)...
BODYSTYLER: Wie schwer war es eigentlich, sich an das strenge Konzept, das ihr euch selbst aufgedrängelt habt (EBM, Synth-Pop und 80er Pop), zu halten? Irgendwie hat man den Eindruck, die Grenzen verschwimmen ein bisschen. „Zwei Tote“ z.B. hätte auch auf die „Magnet“ und „Everybody lies at Night“ auf die „Achtung 80“gepasst...usw.
STEVE NAGHAVI: Na, dann lasst uns die beiden genannten Songs doch mal analysieren: „Zwei Tote“ zum Beispiel hat einen sehr prägnanten EBM-Bass und extrem AND ONE-old-school-mäßige Melodien am Start. Und so ganz komplett ohne Gitarre? Wäre das echt ein "Magnet"-Thema gewesen? Von der Komposition her vielleicht, aber man muss sich entscheiden. Wir nennen diese Songs „Trilogie-Hybriden“. Sie tanzen knapp auf der Kante eines anderen Albums. „Everybody lies at Night“ ist einer der gitarrenlastigsten Songs auf der "Magnet". Auf der "Achtung 80" wäre er der EINZIGE Song mit Gitarre gewesen und man hätte uns sicher gefragt, warum der Song nicht auf der „Magnet“ erschien. Die Themen der Alben müssen sich nicht gegenseitig abgrenzen. Sie deklarieren lediglich den SCHWERpunkt, ohne klare Grenzen zu ziehen. Wir lassen uns nicht von unserer eigenen Kreativität in Geiselhaft nehmen!
BODYSTYLER: Für die "80er"-Songs habt Ihr Euch ja ordentlich mit den typischen Sounds der Zeit ausgetobt und auch Harmonien/Klangfarben nicht ausgespart, die es so auch zum Beispiel bei Stock/Aitken/Waterman gab. Schätzt ihr diese Produktionen auf gewisse Art und Weise oder war es die pure Klischee-Nostalgie, die Euch da getrieben hat?
STEVE NAGHAVI: Also ich persönlich fand die Songs von Stock/Aitken/Watermen schon immer sehr geil, damals wie heute. Die machen mir noch immer gute Laune, wenn ich sie im Radio höre. Dieser Style ist ein wichtiger Teil von mir. Es wurde also Zeit, sich da mal die nötige Luft zu schaffen, um das zusammen mit den Fans zu zelebrieren.
BODYSTYLER: Nenne doch mal bitte Eure Favoriten aus der S/A/W-Schmiede (nicht die Filme, sondern das eben erwähnte Produzententeam)?
STEVE NAGHAVI: Also meine Favoriten aus der Ära in alphabetischer Reihenfolge: Rick Astley, Bananarama, Laura Branigan, Dead or Alive, Hazell Dean, Samantha Fox, Kylie Minogue, Mel & Kim, Sigue Sigue Sputnik und The Twins. Es wird aber auch etliche Songs geben, die ich geil finde, ohne dass ich die Interpreten hierzu vom Namen her kenne.
BODYSTYLER: Kurz nach der Veröffentlichung der Trilogie gab's gleich zwei nicht alltägliche Highlights für den geneigten And One-Fan. Zum einen ein einstündiges „Grenzwellen"-Special und zum anderen den kompletten "M'era-Luna"-Auftritt bei EinsPlus. Von der „Ecki Stieg-Lobhudelei“ haben wir ja schon gesprochen, aber wem habt ihr denn beim Fernsehen das Klopapier gehalten, dass das gesendet wurde?
STEVE NAGHAVI: Bis kurz vor dem "M'era Luna" wollte ich es nicht mal genehmigen. Sonst hätte man ja die Ankündigung schon viel länger vorher gesehen. Ich habe Fernsehübertragungen immer sehr skeptisch gegenüber gestanden. Vor ein paar Tagen habe ich meiner Promo-Agentur die Frage, ob ich denn im „ZDF Fernsehgarten“ auftreten würde, mit einem klaren "Nein" beantwortet. Fernsehen ist nicht gleich Fernsehen. Und bei dieser "M'era Luna"-Übertragung lagen mir für ein „Ok“ eben zu wenig Informationen vor. Erst als ich die Garantie bekam, dass sie da nicht wild rumschneiden oder sich Songs selbst aussuchen, also das Konzert in voller Länge senden und KEIN Extralicht aufstellen, das unsere Lightshow komplett zerstört, haben sie kurzfristig mein "Go!" bekommen. Ich war da vorher überhaupt nicht heiß drauf und einschleimen tut sich ein Naghavi sowieso bei niemandem! Doch hinterher bin ich froh, dass ich mich durchringen konnte. Denn dank der Aufzeichnung weiß ich, dass ich mich sofort in einem Fitness-Studio anmelden und meinen Ernährungsplan umstellen muss!
BODYSTYLER: Habt ihr eigentlich eine Idee, warum damals wie heute sämtliche Musikversteher „Pimmelmann“ als Peinlichkeit sehen? Ich meine, zu der Zeit gab es mehrere Bands, die offenkundig albern waren, Dark Voices mit „Sklave“, Ravenous' Version von „Eine Mark für Charly“ etc... Meiner Meinung nach eine Facette, die der oft sich selbst zu ernst nehmenden Electro/EBM-Szene sehr gut getan hat...
STEVE NAGHAVI: „Pimmelmann“ war ja nicht der erste Song seiner Art. Mit „Klaus“ ging das ja schon Mitte der Neunziger los. Dieser Song war der Grundstein für eine Veränderung in einer Szene, die Humor bis dato NULL zugelassen hat. Nachdem wir den Song aber auch live erfolgreich performt haben, war das natürlich auch für zahlreiche bei den Konzerten anwesenden Kollegen das grüne Licht, ebenfalls ein bisschen Humor in ihre Arbeit mit einfließen zu lassen. "Pimmelmann" war nur die Fortsetzung und auch noch eine Schippe drauf. Diese Schippe war für einige zu viel des Guten und sie haben sich von AND ONE abgewandt. Es gibt ein Fax aus der Zeit, in dem ich meiner Plattenfirma Virgin versichert habe, dass diese Art „Reinigung“ wichtig ist, um am Ende genau die Fans auf den Konzerten zu haben, die nicht nur unsere Ernsthaftigkeit, sondern auch unseren Humor teilen und dass dies langfristig gesehen immer für einen viel beständigeren Erfolg steht, als wenn wir den Leuten ständig vormachen würden, wie cool wir doch angeblich sind.
"Wir lassen uns nicht von unserer eigenen Kreativität in Geiselhaft nehmen!"
BODYSTYLER: Mit der fetten Chartplatzierung direkt unter unserer Lieblings-Helene habt ihr ja eigentlich alles erreicht. Was kommt jetzt nach der Spitze? Nackig über Berg und Tal fliegen, Bandauflösung oder Nummer-Eins-Album, oder was?
STEVE NAGHAVI: Viel wichtiger als so eine Chartsplatzierung ist die Erkenntnis, dass wir hier ohne Wenn und Aber von unseren Fans einen für weitere Jahre gültigen Freifahrtschein bekommen haben, uns an keine Regularien halten zu müssen und unsere Kreativität voll ausfahren dürfen, ohne am ganzen Leib vor Kommentaren wie „Iiiiihhh, Gitarre!“ oder „Ist das Hip Hop?“ zittern zu müssen. AND ONE darf nach wie vor alles, was wiederum meine Theorie aus den 90ern bestätigt: Lieber ein paar Federn lassen, als sich ein Leben lang zum Sklaven machen von bestimmten Fans, die dich sowieso nicht verstehen. Mut zum Fan-Verlieren - denn das, was übrig bleibt, macht dich vielleicht nicht unbedingt reich, aber glücklich!!!
BODYSTYLER: Die Setlists der letzten Konzerte sind ja wirklich beeindruckend. Wie schafft man es, so viele Songs in petto zu haben? Gab es Momente, in denen ihr auch mal durcheinander gekommen seid (Texte, Instrumentierung, Choreografie...)?
STEVE NAGHAVI: Choreografie? Lol! So was musst du meinen geschätzten Kollegen Chris Pohl fragen! Um die Instrumentierung musste ich mich nicht kümmern, da ich dafür ja fähige Leute habe. Und die Texte? Ja, die Texte wären normalerweise ein Problem gewesen. Es gab jedoch erstaunlich wenig Aussetzer, aber auch nur, weil ich es mir diesmal nicht habe nehmen lassen, manchmal vor den Konzerten zu üben. Meistens nachmittags mit aufgeklappten Laptop beim Duschen bin ich die kritischen Texte noch mal singend durchgegangen. Das wirkt Wunder. Durcheinander komme ich nur ab und zu, wenn ich während des Konzertes mal abgelenkt bin durch 'ne Frau, die ihr T-Shirt hochzieht oder Security-Kräfte, die lautstark mitgröhlen (lacht)
BODYSTYLER: Was waren denn die Kriterien dafür, in welchen Städten Ihr welche Songs gespielt habt? Gibt es da regionale Unterschiede bei den Favoriten?
STEVE NAGHAVI: Überhaupt nicht. Das haben wir echt frei nach Schnauze gemacht. Kein Zufall aber waren die Entscheidungen, so Einzel-Cover wie „Told you so“ oder „It’s called a heart“ mitten im Osten einzusetzen. Das hat für uns Sinn gemacht.
BODYSTYLER: Habt Ihr eigentlich schon eine Idee, mit welchem Liedgut Ihr die Trilogie-Supershows bestreiten wollt? Angesichts der über zwei Stunden an neuem Material dürfte eine Entscheidung doch erheblich schwerer fallen, als wenn man nur ein neues Album am Start hätte, oder? Oder gibt's nur neue und keine alten Sachen?
STEVE NAGHAVI: Keine alten Sachen? Oh je, was soll denn das werden? Nicht jeder Song, der auf der Trilogie beim Hören gut funktioniert, muss auch live 'ne Rakete sein. Bei einem sagen wir mal 3 1/2-Stunden-Konzert machen selbst 15 Songs von der Trilogie nur einen kleinen Teil des Gesamtprogramms aus. Ich bin mir sicher, der Fan wird auf der 2015-Tour so manche Überraschung erleben. Wir sind als Band jetzt so richtig eingespielt und konzentrieren uns auf einige neue Dinge, die jetzt natürlich noch nicht verraten werden.
BODYSTYLER: Vielen Dank und viele bodystylische Grüße!
STEVE NAGHAVI: Magnetischen Dank zurück!